STUTTGART (17.05.2023) Morgenstund’ hat Gold im Mund. Bei Sonnenaufgang geht es los: Ehrenamtliche Drohnenpiloten helfen Jagdpächter und Landwirt, Rehkitzen vor der Mahd das Leben zu retten. In den ersten Lebenswochen gut in hohen Wiesen geschützt, ist für sie das Mähwerk eine Lebensgefahr, denn anstatt einem Fluchtreflex, sind sie in den ersten Tagen lediglich mit einem Duckreflex zum Schutz vor Fraßfeinden, wie Greifvögel, Füchse und Co. ausgestattet.
Modernste Drohnentechnik
Mit der Wärmebildkamera der Drohne lassen sich in den frühen Morgenstunden durch die Temperaturunterschiede von Wildkörper und Wiese die Kitze sehr zuverlässig finden. Diese werden dann von Jägerinnen und Jägern sowie Helfern des Teams aus der Wiese getragen und eine möglichst kurze Zeit außerhalb gesichert. Die Mahd sollte rasch danach erfolgen, denn je jünger die Tiere, desto kürzer ist die Zeit, die sie ohne Säugen durch das Muttertier (Geiß) überstehen. Die Suche beginnt in der Regel eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang und ist in der Regel nur bis ca. 10.00 Uhr sinnvoll. „Manche Teams fliegen aber auch den gesamten Tag, denn das anstrengende Kontrollieren von Fehlalarmen, die durch aufgeheizte Maulwurfshügel oder Steine entstehen, ist immer noch besser als gar keine Kontrolle“, ergänzt die für den Regierungsbezirk Karlsruhe zuständige Bezirksjägermeisterin Elke Marko.
Das bloße Auge reicht nicht
Mit bloßem Auge lassen sich die Kitze so gut wie nicht entdecken. Aus der Kabine großer Traktoren, verbunden mit einer heutzutage hohen Arbeitsgeschwindigkeit, ist der Fahrer hier chancenlos. Wer schon einmal bei der Kitzrettung dabei war, weiß das. Zum Teil steht man nur einen halben Meter daneben und entdeckt es trotzdem nicht, weil ich die Grashalme im Bogen über das Versteck gelegt haben. Doch nicht nur Rehkitze sind von der Mahd betroffen, sondern auch Bodenbrüter wie Rebhühner, Kiebitze und Junghasen. Auch sie werden von der Wärmebildkamera erfasst und gerettet.
Wird die Wiese nicht professionell abgesucht, sind die Jungtiere, die unter Umständen vom tiefen Schnitt des Mähers erfasst werden, häufig nicht sofort tot, sondern grausam verstümmelt. Um den Tieren dieses Leid zu ersparen, sollte es Landwirten und Lohnunternehmern ein großes Anliegen sein, in direkter Absprache mit dem Jagdpächter, die moderne Drohnentechnik zur Rettung und zum effektiven Tierschutz zu nutzen.
Die Rechtssituation
Wer das Jagdrecht hat, ist der Hege verpflichtet. Somit obliegt diese meist dem Landwirt, da er in aller Regel der Eigentümer oder Bewirtschafter von Grund und Boden ist (§ 3 BJagdG). Der Tierschutz ist mit Art. 20 im Grundgesetzt verankert und bedingt entsprechende Schutzmaßnahmen bei der Mahd. Im § 1 des Tierschutzgesetzes ist zudem geregelt, dass niemand Tieren Leid, Schmerz oder Schäden ohne vernünftigen Grund zufügen darf. Auch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchg) regelt in § 39 Absatz 1, dass es verboten ist, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu verletzen oder zu töten. Die Mahd stellt − ohne entsprechende Schutzmaßnahmen − keinen vernünftigen Grund dar.
Der Landwirt ist derjenige, der mit der Mahd die Gefahr für die Tiere verursacht. Entsprechend des Verursacherprinzips ist deshalb primär der Landwirt bzw. bei Beauftragung der Mahd, der Lohnunternehmer verantwortlich, dem allerdings die Aufgabe zum Treffen entsprechender Schutzmaßnahmen und deren zuverlässige Ausführung explizit übertragen werden muss.
Auch hier tut Aufklärung not, denn optische oder akustische Vergrämungsmaßnahmen am Vorabend der Mahd helfen beispielsweise nicht bei frisch gesetzten Kitzen. Da dies in der Praxis aufgrund zu großer Flächen und einem zu kurzen Zeitfenster kaum möglich ist, unterstützen die örtlichen Jäger seit jeher die Landwirte. Das erfolgte Absuchen der Wiesen sollte sich der Landwirt entweder durch den Jagdausübungsberechtigen oder das Drohnenteam schriftlich bestätigen lassen. Rechtlich wäre es auch möglich, die Flächen mit einem eigenen Drohnenteam abzufliegen, allerdings bedarf es hierfür der Erlaubnis des Jagdausübungsberechtigten.
Wer sich nicht an diese gesetzlichen Vorgaben hält, dem drohen mittlerweile vom Gericht wegen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz verhängte Strafbefehle, die inzwischen durchaus im fünfstelligen Euro-Bereich liegen. Das zeigt ein aktueller Prozess in Weinheim, bei welchem für die Beschuldigten Strafen zwischen 4.500 und 10.000 Euro ausgesprochen wurden. Bisher ein Einzelfall in der ansonsten erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Jäger und Drohnenteams. Nun haben die Betroffenen Einspruch eingelegt. Die Verhandlung hierzu beginnt am 30. Mai in Weinheim.
Gemeinsam gegen Tierleid
Das Rettungssystem besteht aus einem Miteinander von Landwirt, Jagdpächter und Drohnenteam. Die frühzeitige Bekanntgabe der Mähzeiten ist dabei sehr wichtig. Dadurch können die Drohnenpiloten die Einsätze zeitsparend planen, um beispielsweise in der derzeitigen Hauptsetzzeit möglichst viele Flächen abzufliegen. Die Kitzretter übernehmen beim Einsatz die Aufgabe, das gefundene Kitz zu binden, also zu fangen. Angefasst wird es mit Gummihandschuhen und Grasbüscheln, um möglichst wenig Menschengeruch zu hinterlassen. Danach legt man es vorsichtig unter eine luftige Obstkiste, einen Wäschekorb oder in einen großen Karton. Die frisch geborenen Kitze sind noch nicht mobil, doch schon nach kurzer Zeit wird das Fangen zur sportlichen Herausforderung, denn die Kitze laufen weg. Nach der erfolgreichen Rettungsaktion ist der Landwirt am Zug: Jetzt gilt es, die Wiese zügig zu mähen, damit die Kitze so schnell als möglich freigelassen werden können. Dies geschieht durch Jägerinnen und Jäger oder Helfer, die die Tiere am Waldrand der Wiese freigeben. Das größte Glück für die Kitzrettungsteams ist, wenn danach Geiß und Kitz wieder zusammenfinden.
Die Rettung der Kitze ist nicht nur ein Beitrag zum Tierschutz, sondern auch zur Futtermittelsicherheit. Kadaver sind im Silagefutter für Nutztiere ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Bei der Verwesung unter Luftabschluss entstehen gefährliche Giftstoffe, die beispielsweise die tödliche Krankheit Botulismus verursachen. Dabei handelt es sich um eines der gefährlichsten natürlichen Gifte, für die auch Rinder und andere Pflanzenfresser empfänglich sind.
Gut koordinierte Zusammenarbeit
Der Jagdpächter hat eine Mitwirkungspflicht, welcher er nachkommt, sobald er von der Mahd in Kenntnis gesetzt wird. Steht der Mähtermin fest, ist der Jagdpächter deshalb, möglichst inklusive aller Flächenkoordinaten, zu informiert, damit er den Kontakt zu den Drohnenteams herstellen kann. Hierfür wäre ein Vorlauf von zwei Tagen, mindestens jedoch 24 Stunden, ideal. Durch die Weitergabe der Flächendaten können die Drohnen bereits vorab für den Wegpunkteflug programmiert werden, damit ein zügiges Vorankommen am frühen Morgen gewährleistet ist. Diese Daten bleiben dann übrigens auch für die Folgejahre nutzbar.
Weitere Maßnahmen könnten sein, waldnahe Wiesen bis Mitte oder noch besser, bis Ende Juni stehen zu lassen. Besonders kritische Wiesen können bei einem Reviergang gemeinsam festgelegt werden, damit diese der Landwirt im Fokus behält und mit entsprechendem Vorlauf von mindestens zwei Tagen in Zukunft dem Jagdausübungsberechtigten oder dem Drohnenteam meldet.
Ein Streit über Rechte und Pflichten hilft hier niemandem, am allerwenigsten aber den Kitzen und Jungtieren. Eine enge Abstimmung, eine konstruktive Zusammenarbeit und ein gutes Zeitmanagement sind der zielführendste und effektivste Schutz und retten die Kinderstube der Natur. Tierschutz geht uns alle an!
Weitere Informationen
finden Sie auf der Homepage des Landesjagdverbands (www.landesjagdverband.de/projekte/kitzrettung). Hier erhalten Sie eine Übersicht der beim Landesjagdverband gemeldeten Drohnenteams im Land, die für die Kitzrettung zur Verfügung stehen.