Das Schwarzwild zeigt eine kleinräumige, standorttreue und wiederkehrende Raumnutzung, wobei die Streifgebiete in waldreichen Regionen ca. 800 ha und in Agrarlandschaften etwas größer sind, saisonal aber überall ca. 500 ha umfassen. Trotz Ausbreitung ins Offenland bleibt der Wald ein wichtiger Lebensraum, wobei auch Schilf und Felder genutzt werden. Das Schwarzwild ist nachtaktiv und ernährt sich vielfältig. Gerade im deckungsnahen Grünland wird häufig nach tierischer Nahrung gesucht.
Die Reproduktionsrate ist mit einer mittleren jährlichen Zuwachsrate von 200 % extrem hoch. Frischlinge können bereits im ersten Lebensjahr geschlechtsreif werden und tragen mit ihrem eigenen Nachwuchs aufgrund des hohen Anteils in der Population mit bis zu 50 % zum nächstjährigen Frischlingsjahrgang bei. Die Leitbache ist das unangefochtene Alpha-Tier in der Rotte, sie bestimmt das komplette Sozialleben von der Leitung der Bewegungsmuster bis hin zur Rauschsynchronisation innerhalb der Rotte. Aber: in hohen sowie in geringen Populationsdichten (z. B. Ausbreitungsgebiete) kommen vorwiegend Rotten mit ein oder zwei Bachen vor. Hier gibt es nur sehr wenige „echte“ Leitbachen. Auch ist die Leitbache nicht in der Lage, die Rausche nachrangiger Bachen zu unterdrücken oder gar innerhalb der gesamten Population zu synchronisieren. Frischlinge zu Unzeiten entstehen durch Nachrausche bei Nichtaufnahme oder Frischlingsverlusten sowie durch frühreife Frischlingsbachen, die außerhalb der „normalen Rauschperiode“ geschlechtsreif werden.
Wildschäden und Schadensbegrenzung
Diese Eigenschaften befähigen die „Unterholzart“ Schwarzwild, sich in agrarisch geprägten Lebensräumen auszubreiten. Schäden in Feldern entstehen häufig nahe der Haupteinstände, können in Ausbreitungsgebieten aber auch in einigen Kilometern Entfernung zum Wald entstehen. Besonders gefährdet sind Weizen, Hafer, Mais und manche Kartoffelsorten, insbesondere in der Nähe von Raps, da sich Schwarzwild dort häufig aufhält. Untersuchungen in Norddeutschland zeigen, dass selbst bei geringer Schwarzwilddichte bis zu 60 % der Grünlandflächen Schäden aufweisen, wobei sich die Hälfte der Schäden auf 10 % der Flächen konzentriert. Zwei Drittel der betroffenen Flächen werden mehrfach pro Jahr geschädigt, meist in unmittelbarer Nähe zur Deckung. Feuchte Flächen sind stärker betroffen, Regenwürmer und Schnakenlarven sind die Hauptursache für Wühlaktivitäten. Hauptschadenszeiten sind das Frühjahr nach dem Tauen sowie der Herbst nach Trockenperioden, seltener der Sommer. Frisch gemähte Flächen sind besonders anfällig. Vergrämungsmaßnahmen sind selten effektiv, am wirksamsten sind Elektrozäune, gezielte Bejagung im Frühjahr und eine Reduktion der Bestände.
Bejagungsstrategien
Bei einer mittleren jährlichen Reproduktionsrate von 200 % muss die jährliche Sterblichkeit 66,6 % betragen, um den Bestand auf diesem Niveau zu regulieren. In Deutschland beträgt die Mortalitätsrate jedoch nur 54 % (inkl. natürlicher Sterblichkeit). Die Bejagung ist für eine Regulation also zu gering. Umfragen zeigen, dass die Probleme und einige Lösungsansätze durchaus bekannt sind. Oftmals stehen sich jedoch verschiedene Interessen im Weg (hohe Wildschäden vs. leichter Jagderfolg). Hinzu kommen mangelnde Kenntnis der wildbiologischen Fakten, mangelnde Zeit und Motivation, sodass meist viel zu zaghaft bejagt wird. Für eine effektive Reduktion des Bestands ist eine gemeinschaftliche und revierübergreifende Jagd essenziell. Bejagungsgemeinschaften steigern die Effizienz, indem sie die Möglichkeiten zur Bejagung erweitern und auch Jungjäger einbinden.
Zentrale Maßnahmen sind:
Intensive Frischlingsbejagung:
Mindestens 80 % des Jahrgangs sollten erlegt werden, um Bestand, Schäden und Krankheitsrisiken zu senken. Dies muss früh beginnen, bereits im Sommer in den Feldern sowie in großen Waldgebieten. Im Herbst/Winter müssen dann insbesondere bei Bewegungsjagden konsequent so viele Frischlinge wie möglich erlegt werden. Auch hier darf keine Bejagungslücke entstehen. Das gelehrige Schwarzwild bemerkt sofort, wo es sich verstecken kann.
Bejagung von Bachen:
Einzeljagd sollte gezielt auf nachrangige, junge Bachen erfolgen. Gezielte Bejagung erfahrener Altbachen kann hilfreich sein, insbesondere, um die Erfahrung aus dem Bestand zu entfernen.
Fazit
Da Schwarzwild so standorttreu ist, lassen sich Planungen in Bejagungsgemeinschaften relativ kleinräumig umsetzen. Die Flexibilität und Gelehrigkeit der Sauen macht solch gemeinschaftliches Jagen sogar zwingend erforderlich. Der enormen Reproduktivität muss mit ausreichender Bejagung begegnet werden. Als wichtigstes bei der Schwarzwildbejagung, wie bei der Jagd überhaupt, scheint mir:
Miteinander und nicht übereinander reden, gemeinschaftlich und ohne Neid jagen.
Wie können Schäden verringert werden?
Für Schäden auf Grünland und Feldern gilt weitgehend:
- Der wichtigste Punkt zu einer Schadensvermeidung oder -minimierung ist und bleibt eine jagdliche Bestandsregulation
- frühzeitige Bejagung gestreifter Frischlinge schon in den Feldern
- hoher Jagddruck in Feldern und auf Grünland, Jagdruhe im Sommer im Wald mit angrenzenden Feldern
- intensive frühzeitige Frischlingsbejagung auch im Kern großer Waldungen, um den Bestand zu regulieren
- Einzäunen mit Elektrozaun kann effektiv helfen. Die Zäune müssen jedoch korrekt angelegt sein und richtig gewartet werden
- keine Ablenkfütterungen (kurzfristige Lösung, die sogar kontraproduktiv sein kann, bei Grünland meist erfolglos)
Dr. Oliver Keuling
(Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover)
Bestandsreduktion – mit Verantwortung und Augenmaß
Nachgehakt bei Samuel Golter
Grundsätzlich muss klar abgegrenzt werden, ob die Bestandsreduktion im regulär jagdlichen Kontext beispielsweise zur Minimierung von Wildschäden aufgrund eines zu hohen Bestandes oder als Maßnahme zur Tierseuchenbekämpfung und Seuchentilgung stattfinden soll. Im Rahmen von Tierseuchenbekämpfung stattfindende Maßnahmen basieren auf dem Seuchenrecht und sind nicht als „jagdlich“ zu bewerten. Dennoch: Waidgerechtes und tierschutzkonformes Handeln liegt IMMER in unserer Verantwortung und erfordert ein gutes Augenmaß und Erfahrung über das Revier, seine Strukturen und den Wildbestand sowie dessen Raum-Zeit-Verhalten.
Dass der Eingriff hauptsächlich in der Frischlingsklasse erfolgen sollte, ist kein Geheimnis. Die Verwertung der kleinen Frischlinge unter 6, 7 kg ist zwar fraglich, in gewissen Situationen – sei es zur Wildschadensabwehr in besonders harten Fällen oder zur Seuchentilgung – kann es durchaus vorkommen, dass man auch einen kleinen Frischling entnehmen muss.
Im Sommer zur Wildschadensabwehr eine ältere Bache im milchreifen Weizen zu erlegen, um die Rotte insgesamt ihrer Erfahrung zu berauben, ist sicherlich kein Allheilmittel und wird in aller Regel ein Verstoß gegen den Elterntierschutz darstellen. Zu Schaden gehende Rotten sind durch das Erlegen einzelner Stücke relativ gut zu vergrämen. Hoher Bewuchs und wenig Zeit zum Ansprechen machen es nicht einfach, beistehende Überläufer und nicht führende Beibachen klar anzusprechen. Hier erscheint es deutlich sinnvoller, einen bei der Rotte stehenden Frischling zu entnehmen, was definitiv zur Meidung der Fläche für die kommenden Nächte führen wird.
Verliert eine Rotte die Leitbache, sei es durch einen Wildunfall oder einen Fehlabschuss, wird sie „unberechenbar“ und geht für Wochen eher chaotisch und planlos in der Feldflur zu Schaden. Will man dennoch über die Zuwachsträger, die meist erfahrenen Bachen, in die Population eingreifen, muss das mit Augenmaß und Ruhe geschehen. Im Rahmen von Bewegungsjagden oder bei der Wildschadensabwehr im Feld ist das nicht möglich. Hierfür wird die Jagd an der Kirrung der richtige Ansatz sein. Hier hat man Zeit, die Stücke ausreichend lange zu beobachten, um sicher ausschließen zu können, ein führendes Stück zu erlegen. Als optimale Zeit wird man den frühen Winter wählen, wenn kein Wildschaden mehr zu erwarten ist und die Bachen in aller Regel nicht mehr führend sind. Bei den anstehenden Bewegungsjagden sind unerfahrene Rotten dann zielgerichteter bejagbar.
Samuel Golter
Bereichsleiter Jagd