Die jagende Künstlerin: Anneliese Hermès

Anneliese Hermès hat sich mit großformatiger Tiermalerei einen Namen gemacht. Aufsehen erregte sie erstmals in den 1980er-Jahren: anstatt abstrakter Formen malte sie Kühe. Jetzt hat die 64-Jährige aus Wangen-Oberwälden einen ­Jagdschein – und entdeckt ihre Liebe zu Jagdhunden. Wir haben sie besucht.

  • Foto: Verena Menauer

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LJV: Was sind das für bunte Schraubgläser, die da im Regal stehen?
Anneliese Hermès: Das sind Farbpigmente – die verwende ich für meine ­Bilder.

 

LJV: Sie rühren die Farben selber an?
Hermès: Ja. Ich mache eine Emulsion aus Harz, Leinöl und Vollei. Das nennt man „Eitempera“. Da kommen dann die Farbpigmente dazu. Eine uralte Technik.So wurden schon die Fresken gemalt.


LJV: Sie haben seit etwa einem Jahr den Jagdschein. Seit wann interessieren Sie sich für die Jagd?
Hermès: Ich bin schon als Kind gerne im Wald gewesen. Wenn meine Mutter morgens kam, um mich für die Schule aufzuwecken, und ich lag nicht im Bett, wusste sie, dass ich im Wald bin und bald komme. Und wenn man Bauerstochter ist, dann kann man alles. Wir Mädchen mussten genau so ran, wie meine Brüder. Ich bin Trekker gefahren, war beim Schlachten dabei oder wenn Kälber tot geboren wurden.


LJV: Warum haben Sie den Jagdschein dann erst jetzt gemacht?
Hermès: Ich bin seit einigen Monaten Jagdhornbläserin. Als ich das erste Mal bei einer Hubertusmesse mitgespielt habe, oben in Steinenkirch, hat der Kreis­jägermeister Matthias Wittlinger gesagt: „Du und dein Mann, ihr könntet doch den Jagdschein machen.“ Mein Mann ist Baubürgermeister von Göppingen – der hat für sowas keine Zeit. Aber ich habe mich gefragt: Warum eigentlich nicht?


LJV: Seit diesem Frühjahr malen Sie vor allem Jagdhunde. Warum keine Wilditere?
Hermès: Von Hunden hatte ich vor der Jägerprüfung überhaupt keine Ahnung. Ich war eigentlich jemand, der Hunde gar nicht so sehr mochte. Jetzt weiß ich warum: Ich hatte nie mit Jagdhunden zu tun.


LJV: Wie meinen Sie das?

Hermès: Wenn man mit Jagdhunden zu tun hat, dann weiß man, was ein Hund ist. Ich empfinde jetzt eine ganz andere Art der Akzeptanz. Ich sehe auch die Schönheit. Wenn ein Jäger mit seinem Hund zu mir kommt, dann sind die beiden irgendwo gleichgestellt. Deswegen habe ich ja auch meine Hundeportraits alle „Jäger“ genannt. Das hinter mir ist zum Beispiel „Jäger Habdank“. Das war das allererste Hundebild. Er ist ein Deutschdrahthaar und eine Erscheinung wie sein Herr.


LJV: Und bald kommt ein eigener Hund?
Hermès: Noch nicht. Aber Vorsicht, ich sage niemals „nie“.


LJV: Wie kommen Sie zu den Hunden, die Sie malen?
Hermès: Ich habe befreundete Jäger gefragt. Wir trafen uns dann draußen oder auch im Atelier. Die Faszination lag darin, dass die Hunde einen nur für einen Moment angucken. Nur eine Sekunde. Und diesen Moment will ich festhalten. So malte ich 1981 eine Serie einer Kuh, die sich am Hintern leckt.


LJV: Haben die Kuh-Bilder deshalb für so viel Aufruhr gesorgt?
Hermès: Nein. Ungewöhnlich war, dass ich hergehe und solche Subjekte überhaupt male. An der Akademie haben alle abstrakt gemalt, niemand wäre auf die Idee gekommen Kühe zu malen. Aber abstrakte Malerei allein ist mir zu einfach, ich will am Gegenstand arbeiten. Und diesen gut in Szene setzen ist – meine ich – viel schwieriger.

 

LJV: Wie lang brauchen Sie ungefähr für ein Bild?
Hermès: Diese Frage kommt oft. Ich sage dann gerne: Ein ganzes Leben. Denn alle Bilder entstehen aus etwas gelebtem, erfahrenem und dem jetzigen. Das Bild ist bei mir erst einmal im Kopf fertig. Dann weiß ich wie die Farben und der Blick des Hundes ungefähr aussehen sollen. Die Kunst ist dabei, dass der Hund einen wirklich anschaut.

 

LJV: Seitdem haben Sie schon alles Mög­liche gemalt: Hirsche, Spiegeleier, Blumen, diverse Portraits, Tortenstücke. Was kommt nach den Hundebildern?
Hermès: Ja, ich habe alles erlebt, was ich gemalt habe. Ich bin mir sicher, dass noch viele Jagdbilder entstehen. Letztens habe ich auf dem Ansitz zwei Rehe gesehen. Mit dem bloßen Auge, gegen die Sonne konnte ich überhaupt nichts erkennen. Die Rehe waren nur schwarz. Dann habe ich mit dem Fernglas geguckt: Die ganze Silhouette der Rehe war Gold gezeichnet. Dadurch, dass die ­Haare ja ein wenig abstehen, hatten sie überall – um die Beine, den Körper – ­einen feinen goldenen Streifen und ­einen ewig langen Schatten. Das war so fantastisch. Solche Bilder muss man einfach umsetzen. Sie sind auch Inspiration für andere Motive. Ich lerne jeden Tag neu von der Jagd.

Interview: Verena Menauer

 

 

 

Vita Anneliese Hermès


1970–74     Studium an der Fachschule Design/Aachen
1978–83     Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei ­Professor K. R.                    H. Sonderborg und an der Kunstakademie Düsseldorf bei ­Professor Alfons Hüppi
1981–83     Studienstiftung des Deutschen Volkes
1983–84     Amerika-Stipendium des Landes Baden-Württemberg und der Freunde der  Kunstakademie Stuttgart in Ann Arbor, Michigan
1985–87     Lehrauftrag für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart
1999     Stipendium der Kulturstiftung der ZF Friedrichshafen AG
2016     Jägerprüfung