Am 30. Oktober ist es wieder soweit: Die Uhren werden auf die Winterzeit umgestellt. Erfahrungsgemäß führt dies wieder vermehrt zu Wildunfällen. Stetes Aufklären der Straßenverkehrsteilnehmer und Hinweise zu besonderer Vorsicht in der Morgen- und Abenddämmerung reichen leider nicht aus und es knallt wieder öfters. Meist sind wir als Jagdausübungsberechtigte in der Pflicht, die fremdverschuldete Suppe auszulöffeln.
Im Idealfall ist das betroffene Stück schnell verendet und der Unfallfahrer kam mit einem Schrecken und einer Delle im Auto davon. In diesem Fall stellen wir eine Wildunfallbescheinigung aus, räumen die Straße auf und wünschen dem Fahrer eine gute Weiterfahrt. Doch reicht das wirklich aus? Was, wenn das Stück doch noch lebt und vielleicht sogar eine größere Personenansammlung am „Tatort“ vorzufinden ist? Was, wenn diese Personen nicht nur geschockt sind, sondern das verletzte Stück Wild zur Tierklinik verbringen wollen und aus dem Jäger als Samariter plötzlich der herzlose Grünrock wird? Natürlich alles vor laufenden Handykameras. In solchen Situationen sind nicht nur Jungjäger überfordert. Nachfolgend ein paar Tipps aus und für die Praxis.
1. Wildunfallbesteck
Meist pressiert's. Es empfiehlt sich deshalb, eine Tasche, einen Rucksack oder auch eine Schublade herzurichten, die alle benötigten Utensilien beinhaltet, die für den Fall eines Anrufes wegen Wildunfall mitten in der Nacht in greifbarer Nähe sind.
Empfohlener Inhalt: Stirnlampe, ein Paar Arbeitshandschuhe, Einmalhandschuhe, Müllsack, Markierband, zusätzliche Warnweste, Kugelschreiber, Vordruck Wildunfallbescheinigung, Visitenkarten. Im Auto befinden sich Wildbergewanne, zusätzliche Warnbeleuchtung und ein Suchschweinwerfer oder eine leistungsstarke Lampe. Nebst dem Hund für etwaige Nachsuchen bietet es sich selbstverständlich an, die Wärmebildkamera mitzunehmen. Stabiles Schuhwerk, Jagdhose und Warnweste bzw. -jacke sind obligatorisch.
2. Waffen
Langwaffe, Kurzwaffe, Büchse oder Flinte – erlaubt ist, was funktioniert und auch bei Nacht und in Stresssituationen sicher zu handhaben ist. Was immer dabei sein muss, ist eine ausreichend stark dimensionierte Kaltwaffe (Sau- bzw. Hirschfänger, kompakte Saufeder)
3. W-Fragen
Wichtige Dinge bereits beim Anruf durch den Unfallverursacher oder die Polizeidienststelle abfragen. Personenschäden? Wenn ja, unbedingt Rettungskette in Gang setzen, die Polizei muss kommen! Bei bekanntermaßen überdurchschnittlich gefährlichen Straßenabschnitten empfiehlt es sich, bei der zuständigen Polizeidienststelle ein Sicherungsfahrzeug anzufordern.
Wurde die Unfallstelle ordentlich abgesichert und befinden sich alle Personen in einem sicheren Bereich? Welche Wildart wurde in den Unfall verwickelt? Lebt das Stück noch oder ist es bereits verendet? Wenn das Stück noch lebt, darauf hinweisen, dass das Wild bis zum Eintreffen des Jägers nicht weiter gestört wird und die Menschen es nicht anleuchten oder gar hintreten.
4. Eigensicherung
Wichtigstes Gebot ist die Eigensicherung! Bei der Anfahrt achten Sie darauf, mit Ihrem Fahrzeug vor der Unfallstelle zu halten. Als erste Maßnahme sichern Sie die Stelle ab, wenn nicht bereits geschehen. Aus eigener Erfahrung nützt die Warnblinkanlage nur wenig. Besser: mehrere Warndreiecke oder gar Baustellenlampen, die bereits den Vorbereich vor dem abgestellten Fahrzeug absperren. Mancher Waidmann greift an besonders gefährlichen Stellen auch zu „andersfarbigen“ LED-Blinklichtern. (Obacht: Bei der Nutzung von blau blinkenden Signallampen besteht die Gefahr eines Bußgeldes). Sie arbeiten nun vor ihrem Fahrzeug. Unbeteiligte Personen haben an der Unfallstelle nichts zu suchen und sind freundlich darauf hinzuweisen, diese zu verlassen. Tragen Sie Sorge dafür, dass sämtliche beteiligte Personen entsprechende Warnkleidung tragen und sich in einem sicheren Bereich befinden.
5. Lebendes Wild
Bei noch lebendem Wild ist nun darauf zu achten, dass sich sämtliche Personen von diesem zu entfernen haben. Handyaufnahmen sind zu unterbinden. Vermeiden Sie, dass das Szenario übermäßig beleuchtet wird. Sie müssen nun schnell und genau analysieren, wie das weitere Vorgehen ist.
6. Fangschuss
Besteht die Chance, einen Fangschuss anzubringen (Wild ist im Graben oder auf dem Bankett mit Erde -> Kugelfang, Splittergefahr), ist dies unter Berücksichtigung aller sicherheitsrelevanten Details schnell vorzunehmen. Bei der Verwendung von Kurzwaffen muss dies viel und regelmäßig geübt werden. Was Sie mit Sicherheit vermeiden wollen, ist eine Kanonade mehrerer Schüsse, weil die Treffpunktlage auf diese kurze Distanz nicht sitzt. Bedenken Sie bitte, dass das auch für Sie selbst keine alltägliche Situation darstellt und Sie möglicherweise im Stress sind.
Idealerweise wird der Fangschuss von hinten auf das Haupt angetragen. Frontal oder seitlich bietet sich oft ein zu kleines Ziel und die Gefahr ist groß, das sich das eh schon leidende Stück weiter quält. Ist das Haupt keine Option, wird ein Kammerschuss angetragen.
In Einzelfällen kann der Schuss auf den Träger mit der Flinte eine gute Lösung sein. Sollte das Wild nicht mehr an der Unfallstelle vorzufinden sein, muss umgehend ein anerkanntes Nachsuchengespann informiert werden.
7. Abfangen mit der kalten Waffe
Ist kein sicherer Fangschuss anzubringen oder es besteht keine Chance, das verletzte Wild etwas in den Graben zu ziehen, um diesen anzutragen, bleibt nur der Einsatz der kalten Waffe. Gehen Sie hierbei schnell und beherzt vor, um unnötiges Leiden zu vermeiden. Bedenken Sie auch hierbei, dass Sie unter Umständen Zuschauer haben. Nutzen Sie hierfür unbedingt den Kammerstich! Das früher gelehrte Abnicken ist nicht mehr zeitgemäß und gefährlich.
8. Seelsorge
Wenn verletztes Wild erlöst ist, gehen Sie nun in die Phase „Seelsorge“ über. Sprechen Sie mit dem Unfallverursacher und anderen Beteiligten darüber, was passiert ist. Weisen Sie u. U. auf das schnelle Erlösen hin und dass dadurch weiteres Leid verhindert wurde Beantworten Sie Fragen und seien Sie sensibel und einfühlsam. Nach dem Erledigen der Formalitäten (Wildunfallbescheinigung) haben Sie die Möglichkeit, Visitenkarten zu überreichen für weitere Fragen oder gar Interesse an Wildbret.
9. Aufräumen
Räumen Sie die Unfallstelle und versorgen Sie das Wild.
Unfallwild
Abgabe von lebend angetroffenem und erlegtem Wild kann nach amtlicher Fleischuntersuchung in die Vermarktung gebracht werden. Wird diese Untersuchung vor Inverkehrbringen nicht gemacht, ergibt sich ein Straftatbestand und der Jagdschein ist weg! (Un-)Fallwild, welches tot aufgefunden wird, ist vom Inverkehrbringen ausgeschlossen.
Die Rollen des Jägers bei Wildunfällen
Der Aufräumer:
Je nach Ausgestaltung des Jagdpachtvertrags ist der Jagdausübungsberechtigte unter Umständen sogar in der Pflicht, (Un-)Fallwild zu beseitigen. Meist ist dies jedoch auf freiwilliger Basis und wird als Service und als „dazugehörend“ verstanden und erledigt. Bei verletzten Wildtieren im eigenen Revier besteht hingegen die Pflicht, einzugreifen und das Stück waidgerecht und schnellstmöglich zu erlösen.
Der Dienstleister:
Für die Anfahrt und das Ausstellen der Wildunfallbescheinigung hat der Jagdausübungsberechtigte die Möglichkeit, eine Aufwandsentschädigung zu verlangen. Die Höhe der veranschlagten Summe liegt im eigenen Ermessen. 15 bis 50 Euro sind durchaus im Rahmen. Weisen Sie den Unfallfahrer auf die Möglichkeit hin, die Kosten bei der Kaskoversicherung einzureichen.
Der Seelsorger:
Oft sind die Unfallverursacher in einem Ausnahmezustand und wollen freundliche, gar tröstende Worte hören anstatt Bemerkungen über zu schnelles Fahren oder ähnliches. Lassen Sie bitte niemals eine sichtlich schockierte und eventuell nicht mehr fahrtüchtige Person mit sich alleine an der Straße zurück.
Der Anwalt des Wildes:
Auch wenn es oft nicht leicht ist – das schnelle und geübte Abfangen bzw. Erlösen des verletzten Wildes ist nach der Eigen- und Fremdsicherung Priorität Nummer 1! Ist das Stück nicht direkt auffindbar, muss umgehend die Nachsuche organisiert werden. Ist dies nicht direkt möglich (schweres Schwarzwild, Wetter- oder Sichtverhältnisse) muss dies für den kommenden Morgen eingeplant werden. Nicht vergessen: Unfallstelle markieren. Tagsüber sieht die Stelle meist anders aus als bei Nacht.